Speichelfaeden in der Buttermilch by Dirk Stermann & Christoph Grissemann

Speichelfaeden in der Buttermilch by Dirk Stermann & Christoph Grissemann

Autor:Dirk Stermann & Christoph Grissemann [Stermann, Dirk & Grissemann, Christoph]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3608504044
Herausgeber: Klett-Cotta Verlag
veröffentlicht: 2011-03-09T23:00:00+00:00


Die erschütternden Aufzeichnungen

nach zehn Jahren News-Verbot

17.4.2012

Bin im Kabarettlokal »Spektakel« vor nur vier Leuten aufgetreten, obwohl doch fünf auf der Gästeliste standen. Die vier waren mein Vater, meine Mutter, mein Bruder und sein Bruder, also mein Bruder (meine Brüder). Also meine Eltern und meine beiden Brüder waren da. Ich bin solo aufgetreten, weil Stermann wieder wegen Mundraub im Gefängnis sitzt. Er hat wieder Knäckebrot gestohlen. Unser Hunger wird immer schlimmer, seit News uns ignoriert. Ich hab mir meinen Magen operativ verkleinern lassen. Erfolglosigkeit kann man leider nicht fressen. Ach Scheiße, ohne News bin ich rein gar nichts mehr.

18.4.2012

Habe mich gestern hier in der Haftanstalt in der Dusche einem 63jährigen Wärter zur Verfügung gestellt, der mich noch vom Fernsehen und von News, von früher, kannte. Habe danach meine täglichen Bittbriefe an die Fellner-Brüder geschrieben. Lege die Briefe hier meinem Tagebuch bei. »Lieber Wolfgang und der andere Fellner! Ich liebe Sie, und ich halte Ihre Zeitschriften für die besten im gesamten deutschsprachigen Raum. Ich sende Ihnen eine Polaroid-Aufnahme, die mich in der Dusche mit einem 63jährigen Wärter zeigt. Ich bin der, der sich bückt, und war, bevor Sie Auftrittsverbot verhängt haben gegen uns, einer der größten im Geschäft. Sie dürfen als Bildunterschrift schreiben, was sie wollen, aber schreiben Sie bitte, bitte was!«

19.4.2012

Habe mit Entsetzen festgestellt, dass ich jetzt nicht mal mehr in der Liste der 5000 wichtigsten Kabarettisten Österreichs bin! Meine Mutter hat mich beim letzten Besuch nicht reingelassen. Sie hat mich vom Balkon aus bespuckt und gerufen: »Über dich Trottel steht in News nichts, du bist nicht mehr mein Sohn!« Ich bin völlig am Ende. Ich kriege keine U-Bahn-Fahrkarte mehr, habe überall Lokalverbot, darf nicht in den Zoo, alle Frauen lachen über mich, und die vereinigten Friedhöfe Wiens haben mitgeteilt, dass sie mich bei meinem Ableben nicht bestatten werden. Selbst der Friedhof der Namenlosen macht da mit. Ich hätte nie gedacht, dass News so viel Macht hat. Dabei hab ich doch alles versucht! Ich hab mich mit versteckter Kamera im Puff fotografiert, hab Koksdealer bestochen, dass sie News gegenüber eidesstattlich aussagen, mich zu beliefern, hab eine Fotomontage gebastelt, auf der ich Jörg Haider auf den Mund küsse! Nicht mal die haben sie gedruckt. Die wollen mich offensichtlich fertigmachen, mich buchstäblich tot schweigen.

20.4.2012

Heute ist Hitlers Geburtstag. Ich habe mich als Adolf Hitler verkleidet und mit einem Champagnerglas fotografieren lassen. Das Foto schickte ich an News, samt Bildunterschrift »Irre! Führer lebt und feiert groß! Adolf Hitler lebte jahrelang unerkannt in Österreich und machte unter dem Pseudonym Dirk Stermann große Karriere im ORF. Unglaublich, aber wahr: Adolf Hitler bekam vor zehn Jahren den ›Salzburger Stier‹!« Auch diese Geschichte wurde nie gedruckt. Ich bin ratlos und verzweifelt, und trotte in diesem Moment in die Dusche, wo mein 63jähriger Freund auf mich wartet. Er ist der Einzige, der mich noch wahrnimmt und berührt. Wenn auch nicht mit seinen Händen, so doch mit seiner heißen Leibesmitte. Ich giere nach Zärtlichkeit und öffentlicher Anerkennung.



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